Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel der Wirtschaftskammer Wien, erklärt im Interview wie die Entscheidung der Konsumenten, lokal zu kaufen, Wien lebendig erhält und welche Rahmenbedingungen der Wiener Handel künftig braucht.
In Wien ist immer viel los. Nicht nur zur Freude der Händler, denkt man an das Verkehrschaos und die Straßensperren durch Demos. Was schlagen Sie vor?
Trefelik: Versammlungs- und Meinungsäußerungsfreiheit sind demokratische Grundrechte. Daran gibt es nichts zu rütteln. Die wenigsten wissen aber, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit dem Recht auf Erwerbsfreiheit gleichgestellt ist. Leider müssen Wiens Händler beobachten, dass die Themen bei Demos in der Öffentlichkeit oft keine Rolle spielen. In aller Munde ist hingegen das Verkehrschaos. Für viele Kunden ist die Zufahrt zur Innenstadt mit dem Auto entscheidend. Die mehr als 100 Demos kosten die Händler teilweise bis zu 70 Prozent des Umsatzes und vernichten somit auch Arbeitsplätze. Es fehlt eindeutig eine gesetzliche Ausgestaltung durch die Politik, die das Miteinander in der Stadt begünstigt: Demos, ja, aber ohne permanentes Verkehrschaos und enorme Umsatzverluste für die Unternehmer.
Sie sagen: Wien ist eine lebenswerte Stadt. Doch wegen der vielen Kundgebungen leidet nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Image der Stadt.
Trefelik: Eindeutig, ja. Ich appelliere an Innenminister, Bürgermeister, Polizei und Veranstalter eine gemeinsame Lösung zu finden. Der Demo-Wahnsinn schadet der Stadt! Die WK Wien hat schon vor längerer Zeit Vorschläge für Demozonen unterbreitet und würde auch Veranstalter unterstützen, die diese freiwillig nutzen. Dafür braucht es aber die Offenheit aller politischen Gruppen, pragmatisch und nicht dogmatisch darüber zu diskutieren.
Welchen Einfluss hat der Boom im Online-Handel auf die Stadt?
Trefelik: Die Konsumenten müssen sich bewusst sein, dass eine lebendige Stadt nur dann lebendig bleibt, wenn sie genutzt wird. Tatsächlich ist es so, dass jeder mit seinem Kaufentscheid, mit jedem Klick beim Online-Einkauf, auch mitbestimmt, wie die Stadt künftig aussieht.
Was können stationäre Händler tun, um für Kunden attraktiv zu bleiben?
Trefelik: Meine Empfehlung: Beratung, Freundlichkeit und Stärkung von Einkaufserlebnissen. Die Produkte anzugreifen, zu fühlen, zu riechen und gleich mitzunehmen, ist ein großer Vorteil des stationären Handels. Trotzdem braucht heute jedes Unternehmen eine Online-Präsenz. Nicht unbedingt einen Online-Shop, aber eine Visitenkarte im Netz.
Sehen Sie auch Änderungsbedarf bei den Rahmenbedingungen für Händler?
Trefelik: Individuelle Mobilität und Kaufkraft hängen untrennbar zusammen. Das bedeutet: Wenn Wien als schöne Einkaufsstadt erhalten werden soll, braucht es eine entsprechende Infrastruktur im urbanen Raum. Beim sukzessiven Verlust von Kundenparkplätzen, etwa durch immer mehr Fahrradstreifen, gibt es definitiv Gesprächsstoff. Stichwort: Faire Verteilung von öffentlichem Raum! Kreuz und quer herumliegende E-Scooter fallen hier auch darunter.
Und für den Online-Handel?
Trefelik: Die Politik ist nach wie vor aufgefordert, endlich dafür zu sorgen, dass die amerikanischen Online-Multis die gleichen Steuern zahlen wie österreichische Unternehmen. 55 Prozent aller österreichischen Online-Ausgaben fließen in die Taschen ausländischer Online-Händler, und das bringt den heimischen Handel extrem unter Druck. Dafür brauchen wir eine Lösung und zwar rasch.
Quelle: Wiener Wirtschaft