Fachleute warnen vor Exodus der 24-Stunden-Betreuerinnen
„Das heute hier ist ein – weiterer – Versuch, die Öffentlichkeit und insbesondere die zuständige Politik im Sozialministerium und Parlament wach zu rütteln. Mit der Teilnahme von mehreren 24-Stunden-Betreuerinnen und deren Schilderungen zu ihrer Arbeitssituation soll eindringlich dargelegt werden, dass wir bei der Betreuung von rund 40.000 Menschen und deren hunderttausenden Angehörigen einem Notstand entgegen gehen.“ Mit diesen Worten begründet heute der Obmann der Fachgruppe Personenberatung und Personenbetreuung in der Wirtschaftskammer Wien, Harald G. Janisch, die Pressekonferenz seiner Interessenvertretung. Er selbst habe als Lebens- und Sozialberater Klientinnen und Klienten, die um die Betreuung von Angehörigen fürchten, da sich diese die 24-Stunden-Kräfte zunehmend nicht mehr leisten können.
„Wenn die Entwicklung so mit der immensen Teuerung weitergeht und gleichzeitig der Staat die Förderung für die 24-Stunden-Betreuung nicht endlich nach 15 Jahren erstmals zumindest valorisiert, werden bald tausende Klientinnen und Klienten unbetreut sein und deren Familien vor gewaltigen Problemen stehen.“ Seit 2007 ist die Höhe der Förderung unverändert bei 550 Euro monatlich, die die betreuten Menschen als Zuschuss zur Bewältigung ihrer finanziellen Aufwendungen vom Staat erhalten.
– Harald Janisch
Konzepte zur Lösung der Probleme liegen im Sozialministerium längst auf
„Wenn wir die Rahmenbedingungen für die 24-Stunden-Betreuerinnen nicht ändern, gehen wir einem Notstand entgegen. Schon jetzt geben jedes Jahr 1500 Personenbetreuerinnen ihren Job auf.“ Mit diesen Worten warnte der Obmann des Fachverbandes Personenberatung und Personenbetreuung in der WKO, Andreas Herz, vor einem Exodus der Betreuungskräfte.
Herz verwies aber darauf, dass Konzepte zur Lösung der Probleme rund um die 24-Stunden-Betreuung seit einem dreiviertel Jahr im zuständigen Sozialministerium aufliegen. „Die in diesem Konzept enthaltenen Maßnahmen müssen endlich umgesetzt werden! Die Personenbetreuerinnen sind eine wesentliche Stütze bei der Versorgung unserer Angehörigen. Deshalb müssen wir die Rahmenbedingungen raschest ändern“, fordert Herz.
Österreich zieht aus der Arbeit der Betreuerinnen vielfältige Vorteile
Die gewählte Vertreterin und Berufsgruppensprecherin der Personenbetreuerinnen, in der Wirtschaftskammer Wien, Bibiana Kudziova, sprach die aktuellen Erhöhungen der Kollektivvertrags-Gehälter in der Sozialwirtschaft an. Dort steigen die Gehälter – von nur einem Jahr auf das nächste – um 8%, mindestens aber um 175 Euro im Jahr. „An diesem Ergebnis werden wir Personenbetreuerinnen die Politik messen. Denn die Förderung, die der Staat an unsere Klientinnen und Klienten zur Bezahlung unserer Honorare überweist, beträgt monatlich 550 Euro. Diese Förderung wurde seit dem Jahr 2007 nie erhöht! Das zeigt leider deutlich, wie wenig wir den politisch Verantwortlichen in Österreich wert sind“, hält Kudziova fest.
Dabei sind, wie Kudziova aufzeigt, die Vorteile, die Österreich aus der Arbeit der selbständigen Betreuerinnen zieht, vielfältig. Neben der Betreuung rund um die Uhr in den eigenen vier Wänden der Klientinnen, leisten Betreuerinnen auch Urlaubsvertretungen für pflegende Angehörige oder Kurzzeitbetreuung bei Klientinnen nach Operationen. Kudziova: „Gerade zur 24-Stunden-Betreuung gibt es keine Alternativen: Angehörige haben dafür meist weder Platz noch Zeit und Heime in Österreich sind entweder voll oder es fehlt das Personal!“
Kudziova verlangt daher eine Erhöhung der staatlichen Förderung um mindestens 900 Euro: „Das deckt dann zumindest die inflationsbedingte und seit 2007 erstmalige Wertanpassung ab. Dazu gilt es einen Bonus, der an jene Klientinnen ausbezahlt wird, die sich zur Bezahlung von höheren, fairen Honoraren an die Betreuerinnen verpflichten, sowie ein Qualitätsbonus für qualitätssichernde Maßnahmen, wie sie auch die Bundesregierung fordert, zu berücksichtigen.“
Kudziova war nach der Matura in der Slowakei als Modedesignerin tätig und hat dann eine Ausbildung zur Jugend- und Heimerzieherin gemacht. Vor 15 Jahren hat sie in Österreich als Betreuerin zu arbeiten begonnen. Ihr Heimatort in der Slowakei liegt acht Autostunden von Wien entfernt.
Eine Bonuszahlung soll für Fairness bei den Honoraren der Betreuerinnen sorgen
Der Expertenvertreter und Allg. beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Mario Tasotti, wies darauf hin, dass ein Fördermodell der Politik seit mehr als einem Jahr vorliegt. Es wurde im Auftrag vom damaligen Sozialminister Anschober, basierend auf dem Regierungsprogramm, entwickelt. Dieses Modell enthält einen Fairnessbonus zur zweckgebundenen Bezahlung höherer Betreuerinnenhonorare. Demnach verpflichten sich in diesem Modell Klientinnen und Klienten, die den Bonus erhalten, zur Zahlung von Honoraren an die Betreuerinnen, die definierte Mindeststandards nicht unterschreiten.
Angesicht der anhaltenden politischen Untätigkeit bei der finanziellen Absicherung der 24-Stunden-Betreuung warnt Tasotti, dass man seitens der Politik offenbar verheerende Konsequenzen bewusst in Kauf nimmt.
So gibt es einerseits ein seit jeher bestehendes, eklatantes Missverhältnis bei der öffentlichen Finanzierung der 24h-Betreuung im Vergleich zur öffentlichen Finanzierung von Pflegeplätzen in Heimen. Während von öffentlicher Seite aktuell 550 Euro pro Monat an Klientinnen in der 24h Betreuung geleistet werden, übernimmt die öffentliche Hand bei Pflegeheimplätzen durchschnittlich mehr als 2500 Euro/Monat.
Förderung der 24-Stunden-Betreuung muss endlich das erste Mal seit 2007 valorisiert werden
Tasotti: „Es wird von der Politik einerseits bei der seit 2007 bestehenden Förderung nicht einmal die Inflation über 15 Jahre ausgeglichen, andererseits eine generelle Erhöhung der Förderung, durch den im Reformkonzept vorgeschlagenen Fairnessbonus, verhindert. Damit wäre es aber den Klientinnen und Klienten, die diese Förderung vom Staat ausbezahlt bekommen, möglich endlich faire Honorare an die Betreuerinnen zu bezahlen.“
Personenbetreuerinnen werden weiterhin, so die Feststellung des Experten, mit der Perspektive getäuscht, dass eine Ausübung der 24-Stunden-Betreuung im Angestelltenverhältnis möglich wäre, obwohl sowohl eine einschlägige WIFO-Studie als auch interne Berechnungen des Sozialministeriums klar zum Schluss kommen, dass eine flächendeckende Organisation und Finanzierung des Angestellten-Modells budgetär – sowohl für Private als auch für den Staat – nicht umsetzbar ist.
Als Konsequenz der real schrumpfenden Honorare übernehmen Personenbetreuerinnen vermehrt Betreuungen in anderen Ländern, in welchen sie finanziell besser als in Österreich gestellt werden. Im Vergleich zum Beginn der Pandemie sind daher offiziell mittlerweile 3.000 Personenbetreuerinnen weniger in Österreich tätig.
Inflationsanpassung und zwei Bonuszahlungen bringen mehr Sicherheit, Qualität und Fairness
Gefordert wird daher, wie Tasotti betont, die unverzügliche Umsetzung des von Experten erarbeiteten Konzepts für mehr Sicherheit, Qualität und Fairness der 24-Stunden-Betreuung. Dieses Konzept liegt bereits seit letztem Jahr auf dem Tisch des Ministers und sieht folgende drei Maßnahmen vor:
- eine Inflationsanpassung der seit 2007 nicht wertberichtigten Basisförderung von derzeit 550 Euro auf 780 Euro.
- die Einführung eines Qualitätsbonus für die Finanzierung qualitätssichernder Maßnahmen durch die Fachpflege, sowie
- zur Erhöhung der Betreuerinnenhonorare – die Einführung des oben bereits beschriebenen Fairnessbonus für die Kundinnen und Kunden zur Finanzierung von höheren Honoraren für die Betreuerinnen.
Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Erhöhung der Förderung um rund € 900,- pro Monat.
Webtipp:
Quelle: WK-Wien